Die Säge schärfen

Die Geschichte ist sehr bekannt: Ein Holzfäller müht sich im Wald mit seiner stumpfen Säge ab und kommt nur langsam voran mit seiner Arbeit. Von einem vorbeikommenden Spaziergänger darauf angesprochen, warum er nicht zuerst seine Säge schärft und dann weitermacht, seufzt er und sagt: „Ich habe noch so viel Arbeit. Ich muss noch so viele Bäume fällen, ich habe überhaupt keine Zeit die Säge zu schärfen.“ So weit so gut. In diesem Bild und in dieser Geschichte klingt es ganz einfach und logisch, dass das Schärfen der Säge die weitere Arbeit um ein vielfaches erleichtern und auch beschleunigen würde. Aber wie ist das, wenn es um mich selbst geht? Da ist es oft nicht so leicht … von außen blickt man oft leichter auf eine Situation hin als bei sich selbst.

Was heißt es also konkret für MICH, meine Säge zu schärfen? Ich bin ein Mensch, der gerne für andere da ist, der lieber „Ja“ als „Nein“ sagt, wenn eine Anfrage auf mich zukommt, der gelernt hat, dass man funktionieren muss und dass es nicht so wichtig ist wie es einem dabei geht und der gerne gut und qualitätsvoll zu Ende bringt, was begonnen wurde. Da kann es mir passieren, dass ich auf mich selbst vergesse, dass ich nur mehr an die anderen denke und nicht mehr an mich selbst – und das merke ich durch eine notorische Unzufriedenheit, das ständige Gefühl den „Wald vor lauter Bäumen“ nicht mehr zu sehen und dadurch, dass ich viele Dinge gleichzeitig beginne, aber nichts zu Ende bringe. Dass mir das aufgefallen ist, das ist schon viel. So kann ich dem auch entgegenwirken. Die gute Nachricht: Es bedarf gar nicht so viel, um wieder in Einklang mit sich selbst zu kommen.

Konkret habe ich mir in den letzten Monaten täglich einen Punkt vorgenommen, der heißt: Mir selbst eine kleine Freude machen! – Das hat sich anfangs nicht so gut angefühlt, mich so in den Mittelpunkt zu stellen. Schnell hat sich eine Stimme gemeldet, die gesagt hat: Das ist aber sehr egoistisch. Du sollst doch etwas für andere tun. Diese Stimme habe ich liebevoll besänftigt und habe ihr gesagt, dass ich jetzt zuerst mir etwas Gutes tun werde, damit ich dann Kraft habe, etwas für andere zu tun – und das mit innerer Freude. Weiters war es am Beginn gar nicht so leicht Dinge zu finden, womit ich mir selbst eine kleine Freude machen kann. Da habe ich viel gelernt. Vor allem: Es geht gar nicht so sehr darum, WAS das ist, sondern viel mehr darum wahrzunehmen, dass ich jetzt ganz bei mir bin und einen geschenkten Moment bekomme, der meiner Seele gut tut. Ob das ein Spaziergang ist, bei dem die Sonne besonders schön die Bäume anstrahlt, ob es eine Tasse Kaffee ist, die ich mir bei einem Einkaufbummel gönne, ob es ein Anruf oder eine Nachricht von einem lieben Menschen ist, … das ist eigentlich egal.

Wenn ich merke dass mir JETZT GERADE ein Moment geschenkt wird, der mir Kraft gibt, der mir gut tut und es mir gelingt, diesen Moment richtig zu genießen, dann wird meine Säge geschärft und es geht wieder voller Elan weiter. Und „ganz nebenbei“ stärken diese Momente meine Beziehung zu Gott, weil ich spüre, dass er es gut mit mir meint und mir Freude schenken möchte.

Verfasst von: Susi Mitter (Medienexpertin, Hobby-Kabarettistin, Mutter von 4 Kindern, gemeinsam mit ihrem Mann im 5. Kurs des österreichsichen Familienbundes)

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