Ein Text von Pater Tilmann Beller (*) ist mir in die Hände gefallen, der zum heutigen Karfreitag passt. Es ist ein Ausschnitt aus der Novene „2000 – der neue Anfang“, die Pater Beller im Jahr 2000 verfasst hat:
Es gibt Veränderungen, die unmerklich vonstatten gehen. Wir leben in unserer gegenwärtigen Kultur in einer solchen Veränderung: Menschen kreisen immer mehr um sich selbst. Das Ich wird zum großen Thema.
Natürlich war das Ich des Menschen immer ein Thema. … Der Mensch ist das Wesen, das „Ich“ sagen kann. So hat Gott ihn geschaffen. Und doch hat sich das Klima verschoben. Das war früher nicht so wie heute. Heute kann man monatelang Kurse machen, in denen man sich mit sich selbst beschäftigt. Heute werden Probleme, die der Einzelne hat, sorgfältig „aufgearbeitet“. Heute beschäftigen sich Menschen mit ihren frühkindlichen Erfahrungen. Und wir nehmen die Wirkung wahr, die diese Erfahrungen auf die Persönlichkeit haben. Für uns heute ist die Frage wichtig (im Hinblick auf irgendeine Erfahrung): „Was macht das mit mir?“ Ganz langsam, fast unmerklich verschiebt sich das Klima. Es gibt Menschen, die durch viele Jahre und Jahrzehnte hin auf der Suche sind nach sich selbst. Das ist durchaus sinnvoll und verständlich: Der Mensch bleibt sich immer ein großes Geheimnis. Aber es verschiebt sich der Akzent. Wir nehmen uns zu wichtig. In unserem Verhältnis zu den anderen sind wir dann recht hilflos: Die anderen sind die Bösen in dem „Film“ unseres Lebens. Die anderen sind schuld, dass es mir nicht gelungen ist…
Wer sich dauernd mit sich selbst beschäftigt, kommt nicht daran vorbei festzustellen, dass seine Träume gescheitert sind. An diesem Scheitern sind dann die anderen schuld. …
Der Mensch hat nicht unbegrenzt viel seelische Kraft. Wer sich pausenlos mit sich selber beschäftigt, hat eben nicht mehr die Kraft zu lieben.
Gibt es hier einen neuen Anfang?
Es gibt einen Schlüsselvorgang. Der Schlüsselvorgang ist dort, wo die Zuwendung zum anderen mir selbst wehtut. Dort zu sagen: „Die Liebe zu dir ist anstrengend, aber ich liebe dich trotzdem.“ – Das ist der Schlüsselvorgang für einen neuen Anfang.
So war es auch auf Golgotha. Der Herr hat sein Leben hingegeben: Vater ich schenke mich dir für die Menschen. Nimm sie wieder an. – Und die Gottesmutter, die unter dem Kreuz stand, hat dem Vater ihren Sohn geschenkt. Es ist sehr schwer für eine Frau, das Kind, das sie getragen hat, leiden zu sehen. Die Gottesmutter hat ihr Kind dem Vater geschenkt für die Menschen.
Eine Grenze wird überschritten, die Grenze des eigenen Ich. Sie wird überschritten durch die Hingabe an den lieben Got und die Bereitschaft, ihm etwas Kostbares zu schenken.
…
Was können wir Kostbares schenken?
Das erste ist ein herzhaftes Ja zu uns selbst, das zweite ist ein Ja zum Du, das dritte ein Ja zu unserer Arbeit, das vierte ein Ja zu unserem Leid.
Fortsetzung folgt …
(*) Pater Tilmann Beller (1938-2012) war ein deutscher Theologe und Schönstattpater. Zudem war er Autor mehrerer Bücher zu gesellschaftlichen Fragen und modernen theologischen Themen. Er war von 1991 bis 2002 Bewegungsleiter der deutschen und von 2003 bis 2007 der österreichischen und ungarischen Schönstatt-Bewegung.